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Denkmal der Märzgefallenen

Der Nebel ist geblieben – Das Denkmal an der B7

Denkmal

Der Gedenkstein aus Porphyr inmitten einer grünen Hecke an der B 7 hinterm Friedhof, Richtung Gotha, steht 2003 genau 50 Jahre. Er wurde 1953 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung aus Mechterstädt und umliegender Orte zu Ehren von 15 zumeist sehr jungen Menschen aus Bad Thal gesetzt. Die einfachen Arbeiter und Handwerker, unter ihnen drei Brüder, wurden von Marburger Studenten im nebligen Morgengrauen des 25. März 1920 erschossen – „auf der Flucht erschossen“, wie es die Gerichtsakten ausweisen. Ein Großteil der Getöteten starb in der Nähe des Ortes, wo heute der Gedenkstein steht.

Nicht einer der 15 hatte den Fußmarsch von Sättelstädt nach Gotha überlebt, wo sie angeblich einem Kriegsgericht überstellt werden sollten.

Die Tragödie von Mechterstädt sorgte wegen ihrer Unmenschlichkeit für Aufsehen bis in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Was geschah damals? Hier eine verknappte Zusammenstellung der Ereignisse anhand von Material aus der Eisenacher Stadtbücherei, eines Sonderdrucks des Marburger Corps Hasso-Nassovia (Mitglieder dieses Corps gehörten zu den Todesschützen) und von Zeitzeugen.

Dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wie die junge Weimarer Republik nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und den Schrecken des 1. Weltkriegs in ihrer Verfassung bestimmte, gefiel republikanischen Vertretern, insbesondere des Junkertums und des Militärs, gar nicht. Sie warteten auf ihre Chance. Sie mussten nicht lange warten. Am 13. März 1920 meldeten die Zeitungen, dass die Reichsregierung abgelöst sei. Ein gewisser Generallandschaftsdirektor Kapp aus Ostpreußen habe die Macht übernommen. Die Geschichtsschreibung spricht vom Kapp-Putsch.

Das deutsche Volk jedoch hatte keine Lust, einem unbekannten Mann namens Kapp zu folgen. Und es wollte auf keinen Fall zurück unter die Fuchtel von Kriegstreibern. Deshalb folgten die Menschen dem Aufruf der rechtmäßig gewählten Regierung zum Generalstreik. Kapp floh nach Schweden, der Putsch war nach drei Tagen vorbei. Am 16. März bereits ordnete die Ebert-Bauer-Regierung Ruhe und Ordnung und die Wiederaufnahme der Arbeit an.

In Thüringen, das als besonders aufrührerisch galt, versuchten Arbeiter und Handwerker die Chance der unruhigen Zeit zu nutzen, um noch mehr als die bereits erworbenen sozialen Reformen durchzusetzen. Diesen „spartakistischen Banden“ das Handwerk zu legen, zog ein eilends zusammengestelltes Zeifreiwilligenkorps mit Studenten der Marburger Universität von Hessen aus ins Land – das StuKoMa (Studentenkorps Marburg). Für die Studenten waren die Arbeiter ein rotes Tuch. Sie wollte man das Fürchten lehren. Der Rektor der Marburger Universität verabschiedete seine Studenten „standesgemäß“ mit Musik und Blumen. „Etwas von der Stimmung des 1. August 1914“ sei da wieder lebendig geworden, schrieb deren Führer Bogislaw von Selchow damals, ein weltkriegsgestählter Mann, der kurz zuvor noch Kapps Pläne unterstützte, jedoch rechtzeitig vom Scheitern des Putsches gehört hatte und sich nun wieder regierungstreu gab.

Die angehenden vorwiegend Mediziner, Juristen und Theologen, die mit ihm zogen, fanden im März 1920 aber nur noch wenig Aufruhr in Thüringen vor. In Bad Thal aber sollte sich nach Aussagen des dortigen Schultheißen Schein und des Gendarmen Heß zufolge eine „rote Garde“ gebildet haben, die zum Kampf für eine Räterepublik aufgerufen hatte. Dort verhaftete das StuKoMa am 24. März 1920 Männer, die sich in den Wirren der Putsch-Tage zu einer Arbeiterwehr zusammengeschlossen und Schusswaffen in Kälberfeld, Schönau, Kahlenberg, Sättelstädt und Sondra beschlagnahmt hatten. Bei diesen Streifzügen soll auch so manche Wurst aus einer Speisekammer unfreiwillig die Proviantbüchsen der „Spartakisten“ gefüllt haben. Dem Lehrer Göpel in Sättelstädt soll die Pistole vor die Brust gesetzt worden sein, als er nicht freiwillig sein Jagdgewehr ablieferte. Das gleiche sei mit weiteren Bewohnern geschehen, bezeugte der Sättelstädter Schultheiß Lux. Von Plünderungen und Zerstörungen in privaten Anwesen war die Rede. Diese Aussagen reichten dem StuKoMa für hartes Durchgreifen. Das erfüllte den Tatbestand von Aufruhr und Landfriedensbruch.

Nach einer in Bad Thal erstellten Liste nahm man 40 Männer fest. Unter ihnen wurden 15 ausgewählt, darunter vier Gemeinderäte, die auf einem großen Leiterwagen Richtung Gotha abtransportiert wurden – eskortiert von den martialisch mit Feldgepäck ausgerüsteten Marburgern, deren Fahrzeuge Totenköpfe zierten. Die Fahrzeuge allerdings sollen einer mitbeteiligten Motorbatterie gehört haben, deren offizielles Abzeichen ein Totenkopf war, verlautete später vor Gericht.

In Sättelstädt schloss man die Männer über Nacht ins Spritzenhaus ein, angeblich, um sie vor der Wut der Einwohner von Sättelstädt zu schützen. Dass in der dortigen Schule am Abend ein Standgericht von Offizieren abgehalten wurde, bei dem man den Tod der Gefangenen beschloss, hat Lehrer Göpel, der beteiligt gewesen sein soll, später vor Gericht bestritten. Auch ein Zechgelage im Sättelstädter Gasthaus „Zum Adler“ an jenem Abend sei unwahr – gab Gendarm Hess zu Protokoll. Am Morgen des 25. März, zwischen 5 und 6 Uhr, brach ein Kommando unter Befehl von Heinrich Goebel (Burschenschaft Germania) in dichtem Nebel Richtung Gotha auf. Die Gefangenen mussten bis auf den zuletzt laufenden besonders scharf bewachten Karl Hornschuh in Gruppen zu zweien oder dreien gehen. Ihnen sei mehrfach gesagt worden, dass bei jedem Fluchtversuch geschossen werde, hieß es vor Gericht.

Was dann wirklich geschah, ist bis heute im Nebel der Jahre verborgen. Tatsache ist: Nicht einer der 15 Gefangenen kam in Gotha an. Alle wurden auf der Chaussee nach Gotha erschossen. Einen ersten Toten gab es bereits nahe des alten Bahnhofes, kurz hinter Sättelstädt, die letzten lagen auf dem Feld, das unmittelbar an das heutige Denkmal in Mechterstädt angrenzt. Fast alle Erschossenen hatten bis zur Unkenntlichkeit zertrümmerte Schädel, was auf Nahschüsse verwies. Bei Karl Hornschuh, dem ersten „auf der Flucht erschossenen“ Toten, wurde ein „Herzschuss von vorn“ als Todesursache festgestellt. Weil dies jedoch nicht der erste Schuss gewesen sein soll, den er empfing, wisse man nicht, welche Stellung er vor dem Herzschuss gegenüber seinem Todesschützen eingenommen hat, äußerte sich ein Gerichtsmediziner . Der erste Schuss könne ihn herumgerissen haben, so dass er mit der Front zum Schützen stand, gab der Mediziner an. Angesichts dieser vorgeblichen „Flucht mit der Front gegen den verfolgenden Schützen“ machte sich der Dichter Kurt Tucholsky in seinem „Marburger Studentenlied“ lustig, unter anderem mit der Zeile: „Zwar sitzen ihre Wunden vorn – man kann auch rückwärts flüchten“.

Ein Zeitzeuge erinnert sich
Es gibt heute nicht mehr viele Augenzeugen in Mechterstädt, die sich noch an jenen Märztag 1920 erinnern. Zu lange ist das her. Hermann Gallitz, Jahrgang 1918, der damals mit seinen Eltern im Eisenbahnerhaus in der heutigen Schulstraße gewohnt hat, war gerade mal zwei Jahre alt. Er weiß jedoch noch, dass seine Mutter ihm davon berichtete, dass auf der Straße Gefangene liefen, „die die Hände über dem Kopf hatten und in die Hände klatschen mussten“. Dann habe es „über dem Friedhof geknallt“. Viele Leute seien hingeeilt an die Stelle. Die Mutter habe von „Leichen im Graben und auf dem Feld“ berichtet. Die Toten seien einfach liegengelassen worden, die „Marburger Jäger“ wären weitergezogen. Hermann Gallitz: „Es hieß, die Männer sind auf der Flucht erschossen worden. Aber das hat doch keiner geglaubt.“ Dr. Kindt, Arzt im Dorf, hätte gesagt, dass die Männer „von hinten erschossen“ und „in den Graben geschubst“ wurden.

Dr.Kindt hat die Leichen mit einer Sanitätskolonne abgeholt und neun von ihnen liegen sehen. Er durfte die Leichen jedoch nicht obduzieren. Das machte erst 5 bzw. 6 Tage später Dr. Jennicke aus Eisenach, weil dieser Arzt bereits Tausende im Feld Gefallene obduziert hat und deshalb das Infanteriegeschoss genau kennen würde, heißt es im Prozessbericht. Warum die Obduktion erst so spät erfolgte, ob sie erst auf Druck der Öffentlichkeit zustande kam – das ist nicht bekannt. Doch zurück zu den Erinnerungen von Hermann Gallitz. Nach dem, was ihm seine Mutter erzählt hat, habe es an jenem Tag neben den 15 Getöteten zwei weitere Tote gegeben – einen „im Lauchaer Feld, und einer soll beim Schmied in der Haingasse erschossen worden sein“. Was daran wahr ist, weiß man nicht. Tatsache ist, dass das Kommando aus Marburg in Mechterstädt Rast machte und neun weitere Gefangene übernahm, die wahrscheinlich aus einer anderen Richtung zugestoßen sind. Kamen sie aus Laucha her? Darüber gibt es bis heute keine Aussagen. In Mechterstädt jedenfalls sollen viele Menschen zusammengelaufen sein, die sich gegenüber den Marburgern feindselig verhielten. Sie seien erst durch Drohung mit Schießen verscheucht worden. In der Schule ist in den nächsten Jahren über die Schüsse „nichts gesagt worden“, erzählt Hermann Gallitz. Während die einen im Dorf von „maroden Brüdern“ (den Thalern) sprachen, hätten die anderen „auf die Jäger geschimpft“. Die Meinung war zweigeteilt.

Die Gerichtsverfahren
Die Kunde von den Schüssen in Mechterstädt machte 1920 schnell die Runde. Verfahren gegen die Mitglieder des StuKoMa waren deshalb nicht zu verhindern. In zwei spektakulären Gerichtsverhandlungen wurden 14 angeklagte Schützen einmal vor einem Kriegsgericht und dann einem Schwurgericht frei gesprochen. Nicht einer von ihnen hat sich je öffentlich zum Geschehen geäußert. Vertreter des Marburger Corps Hasso-Nassovia nehmen an, dass sich die Schützen an ein „Ehrenwort“ gebunden hatten, wie das in Verbünden wie Burschenschaften oftmals bis heute Kodex ist. Zweifel an der Lauterkeit der Urteile sind geboten. Nicht nur der nicht geklärten Umstände der Todesschüsse wegen.

Wie Autoren der jüngeren Zeitgeschichtsforschung nachwiesen, unterhielten Staatsanwalt Dr. Sauer und Verteidiger Dr. Luetgebrune während der Prozesse untereinander unerlaubten schriftlichen Kontakt. Sie tauschten sich auch über die Mechterstädter Ereignisse aus. Die entsprechenden Dokumente fanden sich im Nachlass der Juristen. Den Hinterbliebenen der Toten wurde wenigstens ein klein wenig Gerechtigkeit zuteil. Eine „Tumultentschädigungskommission“ (jetzt hieß das Tumult, nicht mehr Aufruhr!!) , die in Gotha ein Jahr nach den Prozessen gegen die Marburger Schützen zusammentrat und den Hinterbliebenen eine Rente zubilligte, begründete dies u.a. damit, dass es nicht glaubhaft sei, nicht wenigstens einzelne der 15 Gefangenen „oder auch nur einen lebend, wenn auch schwer verwundet, dem Standgericht vorzuführen“. Das Übermaß des Waffengebrauchs war zumindest für diese Kommission „nicht mehr rechtmäßig“. Die Universität Marburg, die sich nach den umstrittenen Gerichtsurteilen 100prozentig auf die Seite der Schützen schlug und keine Kritik an ihnen duldete, unternimmt auch heute wenig, um die Wahrheit über den 25. März 1920 herauszufinden. Bis in die Gegenwart ist deshalb der Schrei nach dem Recht aktuell, der aus Mechterstädt laut wurde. Der Gedenkstein an der B 7 soll nicht nur an die Toten erinnern, die in Thal begraben liegen, sondern er fordert gleichermaßen Aufklärung und den fairen Umgang mit Andersdenkenden, wie das in einer Demokratie üblich ist.

Die Lehren
Nach der Wende ist das gemeindeeigene Denkmal vernachlässigt worden, das bis dahin von Schulkindern gepflegt wurde. In den 90-er Jahren besuchten Mitglieder des Marburger Corps Hasso-Nassovia Mechterstädt und hinterließen bei den Gemeindevertretern einen Sonderdruck, den sie 70 Jahre nach den Ereignissen zusammengestellt hatten. Darin heißt es u.a. im Kapitel „Unsere Stellungnahme“: „Es gilt: In dubio pro reis. Dieser Grundsatz enthebt uns andererseits nicht von der Verpflichtung, uns der Möglichkeit zu stellen, dass es auch anders gewesen sein kann.“ Betrauert werden die Opfer. „Dies gilt selbst dann, wenn sie die ihnen zur Last gelegten Taten – nämlich Aufruhr und Landfriedensbruch – tatsächlich begangen haben.

Im letzten Satz des Lehren-Kapitels heißt es: „Wir, die wir wie einige der Schützen dem Corps Hasso-Nassovia angehören, haben aus den Ereignissen die Lehre zu ziehen, dass Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung die künftige Geschichte nicht mehr beherrschen dürfen.“

Landschaftsgärtner Martin Vogel aus Mechterstädt beteiligt sich an dem Pflegearbeiten. Einmal im Jahr schneidet er die Hecke kostenlos.

Artikel zum Besuch der Marburger Studenten 2012

© Michael Berkner E-Mail

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